Interview

Wie lange leben Sie schon in Sachsen-Anhalt?

Ich lebe seit 1986 in der Händelstadt Halle an der Saale.

 

Auf welche Ausbildung und welche beruflichen Erfahrungen blicken Sie zurück?

Mit Mitte 20 kam ich 1985 dank eines Stipendiums in die damalige DDR, lernte am Leipziger Herder-Institut Deutsch und studierte dann Chemie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dort promovierte ich in Geoökologie über die „Schadstoffbelastung in deutschen Schrebergärten“. Anschließend arbeitete ich in gemeinnützigen Organisationen im Bereich Bildung, Jugendpolitik, Vielfalt und Menschenrechte. Von 2011 bis 2013 war ich Referent im Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt. Seit 2013 bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages.

 

Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeiten und meines Engagements hatte ich seit meiner Studentenzeit Kontakte zu Politikerinnen und Politikern. 2008 trat ich in die SPD ein. Von 2009 bis 2015 war ich Stadtrat in Halle (Saale). 2013 wurde ich als erster in Afrika geborener Schwarzer Mensch in den Bundestag gewählt. Dort bin ich stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung & Technikfolgenabschätzung.

 

Was treibt Sie an?

Ich will etwas bewegen, Dinge verbessern. Und ich will meinen Kindern später in die Augen sehen und sagen können: Ich habe etwas gegen Rechtspopulismus und politische Fehlentwicklungen getan. Denn Brexit, Trump, Erdoğan, Rechtspopulismus – all das sind politische Entwicklungen, denen wir uns entgegenstellen müssen. Dahinter verbirgt sich häufig ein Rückfall in nationalstaatliches Denken; in die Haltung „wir gegen die“. Für mich ist klar: Wir dürfen die Spaltung unserer Gesellschaft, die Spaltung Europas nicht zulassen. Wir brauchen Offenheit, gegenseitigen Respekt und Zusammenhalt. Für mich zählt das Miteinander.

 

Was haben Sie sich im Falle Ihrer Wahl in den Bundestag vorgenommen? Welche persönlichen Schwerpunkte wollen Sie setzen? Was wollen Sie für Sachsen-Anhalt und Ihren Wahlkreis im Bundestag bewegen?

Kinderarmut bekämpfen – Bildungseinrichtungen stärken – Familien unterstützen

Ein Problem – gerade auch in Halle – ist die hohe Kinderarmut. Solidarisches Miteinander heißt für mich deshalb, kleinere und mittlere Einkommen finanziell zu entlasten. Dafür hat die SPD ein klares Steuerkonzept vorgelegt.

Kinderarmut von morgen beugen wir zudem mit einer kostenfreien und hochwertigen Bildung und Betreuung bereits heute vor – und zwar von der Kita über die Hochschule bis zur Weiterbildung. Für mich ist klar, Bildungseinrichtungen müssen die Kathedralen in unserem Land sein.

Familien sollen Zeit füreinander finden. Das Elterngeld wird gut angenommen, doch auch erfolgreiche Projekte können weiter verbessert werden. Mit dem Familiengeld wollen wir den Eltern die gewünschte Flexibilität im Job geben. Wenn beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren, sollen sie für 24 Monate durch ein Familiengeld in Höhe von 150 Euro je Elternteil unterstützt werden. Das gilt auch für Allein- und Getrennterziehende.

 

Sachgrundlose Befristungen abschaffen – Tarifbindung stärken – Lebensleistung honorieren

Mehr Gerechtigkeit brauchen wir auf dem Arbeitsmarkt. Fast jede zweite Neueinstellung ist befristet. Befristungen verhindern, das Leben selbstbestimmt zu planen. Davon sind vor allem junge Menschen betroffen. Die Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund muss abgeschafft werden. Dafür werde ich mich weiter einsetzen.

Gerecht ist, Arbeit mit tariflichen Löhnen zu vergüten. Wer Vollzeit arbeiten geht, muss davon auch gut leben können. Dafür müssen wir die Tarifbindung und die Gewerkschaften weiter stärken.

Und zur sozialen Sicherheit gehört auch eine solidarische Lebensleistungsrente. Für mich gilt der Grundsatz: Nach jahrzehntelanger Arbeit muss die Rente ein gutes Leben im Alter ermöglichen. Unser Sozialstaat muss für alle da sein.

 

Gemeinsam unsere Zukunft gestalten – Sicherheit gewährleisten – Unsere Region stärken

Mit klarer Haltung müssen wir unsere Freiheit und unsere Demokratie verteidigen. Dazu gehört für mich auch ein klares Bekenntnis zu Europa und zu einem weltoffenen und modernen Einwanderungsland Deutschland. Ich werde mich weiterhin für den sozialen Zusammenhalt einsetzen – damit auch unsere Kinder in Frieden und Freiheit leben können.

Und auch ein offenes Deutschland wird ein sicheres Land bleiben. Dafür will die SPD 15.000 Bundespolizisten einstellen. So soll auch die Arbeitsüberlastung der Polizistinnen und Polizisten abgebaut werden. Eine qualitativ und quantitativ gut aufgestellte Polizei ist der beste Garant für mehr Sicherheit.

Und ich werde mich weiterhin für meinen Wahlkreis einsetzen: Seien es Fördermittel des Bundes für die Franckeschen Stiftungen, die Moritzkirche und die Marktkirche oder Geld für die Universität und Schulen. Und ich werde weiterhin für Halle und unsere Region werben.

 

Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Themen der kommenden Legislaturperiode und warum?

Wir müssen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sicherstellen. Die Politik von heute legt die Grundlagen dafür, dass unsere Kinder und Enkelkinder weiterhin in Freiheit, Solidarität und Wohlstand leben können. Die drei wichtigsten Themen in der kommenden Legislaturperiode sind deshalb erstens die Investitionen in Bildung, Forschung, Entwicklung und Innovation, zweitens die Sicherung der Rahmenbedingungen für Solidarität und Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt und im Rentenalter und drittens die Verteidigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland und Europa.

 

Wie stehen Sie selbst zur Demokratie in Deutschland, gibt es da Veränderungsbedarf?

Eine vielfältige und offene Gesellschaft braucht eine starke Demokratie, die ein solidarisches Miteinander fördert. Demokratie heißt für mich immer, kompromissfähig zu sein. Nur wenn es uns gemeinsam gelingt, klare Regeln zu setzen, können wir in Deutschland und Europa friedlich zusammenleben. Die Werte und Regeln gelten dabei für alle gleichermaßen.

Unsere repräsentative Demokratie erweist sich seit fast 70 Jahren als stabil. Uns ist es immer wieder gelungen, tragfähige Kompromisse für unser Zusammenleben zu finden. Aber die Demokratie in unserem Land ist auch immer wieder in Gefahr. Deshalb müssen wir sie gemeinsam gegen Antidemokratinnen und Antidemokraten verteidigen. Deren pauschale Kritik an politischen Repräsentantinnen und Repräsentanten wird immer aggressiver und ihre Verschwörungstheorien immer gefährlicher.

Um die repräsentative Demokratie zu verbessern und attraktiver zu machen, will die SPD das Wahlrecht ausweiten – beispielsweise für dauerhaft ansässige Drittstaatsangehörige auf kommunaler Ebene. Und wir setzen uns dafür ein, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken. Und nicht zuletzt: Wir wollen das Recht stärken, uneingeschränkt an demokratischen Wahlen teilnehmen zu können. Deshalb wollen wir die Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderung wollen wir abschaffen.

Direkte Demokratie kann unsere repräsentative Demokratie sehr gut unterstützen. Auf kommunaler und Landesebene können die Bürgerinnen und Bürger schon direkt mitbestimmen. Die Demokratiebeteiligung auf Bundesebene will die SPD stärken. Ebenfalls wollen wir das Petitionsrecht beim Deutschen Bundestag weiterentwickeln: durch barrierefreien Zugang für Menschen mit Behinderungen, durch bessere Einbindung von Kindern und Jugendlichen, durch mehr öffentliche Ausschusssitzungen. Zudem wollen wir eine Absenkung des Quorums für öffentliche Petitionen.

 

Was halten Sie persönlich für das größte Problem in unserer Gesellschaft und wie wollen Sie das lösen?

In vielen Gesprächen erfahre ich, was sich in unserer Region und in unserem Land positiv entwickelt und wo der „Schuh noch drückt“. Häufig geht es um soziale Gerechtigkeit, Bildung, Sicherheit und Zusammenhalt. Und hier sehe ich die größte Herausforderung: Frieden, Freiheit, Solidarität, Wohlstand und Gerechtigkeit sind auch im 21. Jahrhundert keine Selbstverständlichkeiten. Das „wir gegen die“ hilft niemandem weiter. Als Mitglied des Deutschen Bundestages sehe ich meine Aufgabe darin, darauf immer wieder hinzuweisen. Wir können unsere Zukunft in Deutschland und Europa nur gemeinsam gestalten.