Interview

Wie lange leben Sie schon in Sachsen-Anhalt?

Seit 1995.

Auf welche Ausbildung und welche beruflichen Erfahrungen blicken Sie zurück?

Abitur, Studium der Rechtswissenschaften, erstes und zweites juristisches Staatsexamen, Notar, Geschäftsführer Notarkammer Sachsen-Anhalt, Staatssekretär im Ministerium der Justiz (2006-2009), seit Herbst 2009 Bundestagsabgeordneter.

Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Ich war Schülersprecher meines Gymnasiums, später Stadtschülersprecher und Mitglied der Bezirksschülervertretung. Sich für andere einsetzen – das war mein Einstieg in die Politik. Bereits während meiner Schulzeit im sauerländischen Marsberg saß ich für die Grünen im Stadtrat und engagierte mich in der Friedens- und Umweltbewegung. 1989 wechselte ich zur SPD.

Was treibt Sie an?

Ungerechtigkeit im Allgemeinen, soziale Benachteiligung, Armut, mangelnde Bildungschancen.

Was haben Sie sich im Falle Ihrer Wahl in den Bundestag vorgenommen? Welche persönlichen Schwerpunkte wollen Sie setzen?

1.      Ganz wichtig sind mir die Bereiche Bildung und Erziehung. Kinder gehören an die erste Stelle unserer Gesellschaft. Und Bildung ist ein ganz wichtiger Schlüssel – für alle Kinder gleichermaßen und unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern. Der Bund steuerte allein in dieser Wahlperiode mehr als vier Milliarden Euro für Kindertagesstätte bei. Das reicht aber nicht. Wenn wir Milliarden zur Rettung Banken mobilisieren, aber in Kitas, Schulen und Sporthallen der Putz von den Wänden fällt, dann geht es nicht gerecht zu.

2.      Als innenpolitischer Sprecher gilt mein Augenmerk natürlich auch den Sicherheitsbehörden. Angesichts anhaltender Terrorgefahr, aber auch aufgrund einer steigenden organisierten Einbruchs- und Diebstahlskriminalität brauchen wir mehr Polizei auf den Straßen sowie mehr Investitionen in Schutzausrüstung und Technik. Es war die SPD, die den über ein Jahrzehnt währenden Stellenabbau bei der Bundespolizei beendet hat: Wir haben zunächst 4.300 neue Stellen durchgesetzt, das genügt aber noch nicht - 15.000 neue Polizistinnen und Polizisten beim Bund und in den Ländern sind nötig. Und ein millionenschweres Investitionsprogramm vor allem in IT-Technik.

Was wollen Sie für Sachsen-Anhalt und Ihren Wahlkreis im Bundestag bewegen?

Ich habe mich bereits in den vergangenen Jahren intensiv um eine Vielzahl von Problemen und Schwierigkeiten in den Städten und Gemeinden meines Wahlkreises gekümmert. So konnte ich bei der Sanierung einer maroden Kita Unterstützung geben, bei der Beschaffung eines neuen Feuerwehrautos und eines neuen Wartehäuschens an einer Bushaltestelle helfen. Oder bei der Organisation von Fördermitteln für das Kloster „Unser Lieben Frauen“ oder dem Telemann-Jubiläum in meiner Heimatstadt Magdeburg. Und oft war ich vermittelnd tätig, wenn Bürgerinnen und Bürger aus meinem Wahlkreis Probleme mit Ämtern und Behörden hatten. Die vielen kleinen Dinge, die man vor Ort leisten kann, sind es, die Politik für die Menschen erlebbar machen. Das will ich auch in Zukunft tun.

Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Themen der kommenden Legislaturperiode und warum?

1.      Zu keiner Zeit war unser Verhältnis zu Russland so zerrüttet wie unter Angela Merkel. Was wir in Deutschland brauchen, ist daher eine Normalisierung unseres Verhältnisses zu Russland, wir brauchen eine Entspannungspolitik 2.0. Wie das geht, hat Willy Brandt in den 1970er Jahren vorgemacht.

2.      Wir müssen die Zweiklassengesellschaft bei Gesundheit und Pflege mit einer Bürgerversicherung überwinden, in die alle solidarisch einzahlen. Die gleiche Solidarität braucht es auch bei der Rente: Wer jahrzehntelang den Buckel krumm gemacht hat, darf nicht nur mit Almosen abgespeist werden, die Solidarrente ist überfällig.

3.      Wir brauchen kostenlose Kitaplätze und ein Familiengeld für Mütter und Väter, die zugunsten ihrer Kinder ihre Arbeitszeit reduzieren. Dieser Verzicht auf Einkommen ist ein Verzicht zum Wohl der gesamten Gesellschaft – das muss honoriert werden.

Wie stehen Sie selbst zur Demokratie in Deutschland, gibt es da Veränderungsbedarf?

Der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, hat gesagt, die Demokratie sei sicher nicht perfekt. Aber ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es bislang kein besseres Gesellschaftsmodell als die Demokratie gibt. Allerdings müssen wir, um uns dieser Bedeutung wieder mehr bewusst zu werden, auch Demokratie erlebbarer und gestaltbarer machen. Für mich wäre das etwa geringere Hürden bei der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an direkter Demokratie – als mehr Bürgerbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene.

Was halten Sie persönlich für das größte Problem in unserer Gesellschaft und wie wollen Sie das lösen?

Ganz persönliche hege ich die Befürchtung, dass unser vereintes Europa wieder in seine Nationalstaaten zerbricht. Der immense Rechtsruck in vielen Ländern Europas bereitet mir große Sorge: In Frankreich hat ein Drittel der Bevölkerung Marie Le Pen gewählt; in Ungarn entdemokratisiert Viktor Orbán schleichend sein Land; in Polen versucht eine nationalkonservative Regierung Justiz und Medien auf Linie zu trimmen. Und Großbritannien verabschiedet sich feixend aus der EU. Dabei ist Europa mehr als nur ein Verbund von Staaten, mehr als grenzenlose Reisefreiheit und mehr als eine gemeinsame Währung: Europa ist der Beleg dafür, dass Menschen aus ihrer eigenen Geschichte lernen können, dass sie von den Schlachtfeldern zweier Weltkriege an den Verhandlungstisch zurückgekehrt sind. Meine Sorge jedoch ist, dass meine Kinder dieses moderne Europa nicht mehr so erleben werden.